(Übersetzung: Anna Böhm)

Anmerkungen: Das Natur- und Ureinwohnerreservat des Indigena-Volkes Xingu (sprich:Schingú) liegt im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso. Seine Fläche umfasst nur ein Viertel der ursprünglich geplanten Größe. Neben den Xingu leben noch zahlreiche andere indigene Völker in dem Reservat. Wenn das
Wasserkraftwerk, gegen das die Xingu hier protestieren, tatsächlich fertig gebaut würde, würde ein heiliger Ort dieses Volkes zerstört: der des
ersten Kuarup. Kuarup ist eine uralte Beerdingungszeremonie der Xingu. Darüber hinaus würde der Lebensraum der verbleibenden Indigenen Völker noch
weiter eingeschränkt - und das in dramatischer Weise. Im Folgenden der Hilferuf der Xingu.

Naturreservat der Xingu, 18.10.2006


Wir, das Ureinwohner-Volk der Xingu, wollen mit diesem Brief unsere Empörung und unsere Angst angesichts der einstweiligen Verfügung des Bezirksgerichts ausdrücken, welche die Fortführung der Arbeiten an dem Wasserkraftwerk Paranatinga II (Pequena Central
Hidrelética de Paranatinga II) erlaubt, bis endgültig über die Angelegenheit entschieden wird. Die indigene Gemeinschaft sieht sich durch diese
alarmierende Realität bedroht, die eine Regierungspolitik reflektiert, welche auf die Interessen der wirtschaftlichen Elite ausgerichtet
ist. Sie steht im krassen Gegensatz zu den Sozio-ökologischen Rechten, die in der (brasilianischen) Verfassung verankert sind und
zugesichert werden. Die Aussicht auf die schwerwiegenden Auswirkungen, die das Wasserkraftwerk Paranatinga II hätte, geben Anlass
zur Verzweiflung. Wir sind Völker des Regenwaldes, und zu dem respektvollen Umgang, den wir mit der Natur pflegen, gehören der Erhalt des Lebens und der Artenvielfalt. Die so viel beschworene Nachhaltigkeit, die Nicht-Indigene als fundamental für das Überleben und die Existenz nachkommender Generationen ausgemacht haben - und für die sie so wenig tun - wurde von unseren Vorfahren und wird von uns auf natürliche Weise gesucht und gelebt. Denn unseren Verhaltensweisen und unserer Kultur sind entwürdigende Praktiken fremd, die utilitaristische Interessen einer Klasse im Blick haben, nichts für die Interessen der Gemeinschaft tun und die die Natur schädigen, die uns umgibt und die uns den ganzen Reichtum, den wir zum
Leben brauchen, zur Verfügung stellt. So erscheint es uns widersprüchlich, dass der brasilianische Staat, von dem wir ein Teil sind,
Praktiken anwendet oder erlaubt (legitime), die der Existenz unserer Gemeischaft entgegenstehen. Unsere Vielfalt und deren Beitrag zum Leben auf diesem
Planeten wird nicht anerkannt und respektiert. Trotz nationaler und internationaler rechtlicher Regelungen,
die den Regierungen den Schutz der indigenen Gemeinschaften vorschreiben, wird die Lebensweise des weißen Mannes zum Maßstab genommen und was davon abweicht (as diferenças) wird als Bedrohung angesehen, die kurz davor ist, ausgerottet zu werden.
Wir kämpfen gegen diesen Zustand. Die Schreie der Xingu müssen gehört werden! Wir haben das Recht, an Projekten teilzuhaben und über solche zu entscheiden, die unsere Gebiete, unsere Glauben und unsere Lebensweise beeinträchtigen.
Wir wollen nicht, dass der Kuluene Fluss von dem Öl aus den Turbinen verseucht wird; Wir wollen nicht, dass die Fische wegen der
künstlichen Barriere verschwinden, die gebaut wird und die die Wanderung unzähliger Arten verhindern wird,
die Teil des Ernährungsplans des Volkes der Xingu sind;
Wir wollen nicht, dass die noch verbliebene Fauna verschwindet;
Wir wollen nicht, dass die Arten der Flora verschwinden;
Wir wollen nicht, dass der "heilige" Ort des ersten
Kuarup überschwemmt wird;
Wir wollen kein Werk, dass für die Interessen eines Unternehmertums durchgeführt wird, dessen einziges
Ziel die Anhäufung von Reichtümern zum Preis des Todes ist.

Wir wollen das Wasserkraftwerk Paranatinga II nicht!

Doch wir wollen, dass die Landesverfassung, die Konvention Nr.169 der OIT und die Carta da Terra (etwa: Brief der Erde), mit ihrer Zusammensetzung von
Prinzipien - unter anderen dem Recht auf gesundes Leben, dem Prinzip der Würde, der sozialen Teilhabe,
dem Prinzip des Respekts vor der Artenvielfalt (biodiversidade) und dem Prinzip des Schutzes der Umwelt - umgesetzt werden! Wir werden weiter kämpfen!
Wir schließen diesen Brief mit dem Hinweis auf die Verantwortung und die Aufgabe der Judikative, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, damit die
missbräuchlichen und unmenschlichen Praktiken nicht zu einem Gemeinplatz in unserem Land werden.
Freunde und Freundinnen, Machthaber des Landes, Verteidiger der Natur, wir bitten alle um Unterstützung, damit wir gemeinsam unseren großen
Reichtum bewahren können: Flüsse, Regenwälder, Fische und Pflanzen unseres Landes, von dem noch wenig in unserem Reservat des Parkes der Xingu übrig geblieben ist.
Bitte helft uns!

DIE INDIGENE KOMMISSION DER BEWEGUNG DES PARKES DER XINGU dankt allen für die Unterstützung und
Solidarität.
Bitte verbreitet diesen Brief.